Diakonie Wolfsburg setzt auf starke Pflegehilfskräfte für eine starke Pflege

19. April 2024

    Interview mit Cornelia Cyperski und Gerd Zaddach, zwei bereits (geronto-)psychiatrisch fortgebildeten  Pflegehilfskräften aus dem Hanns-Lilje-Heim

    © Diakonie Wolfsburg/Bettina Enßlen

    Stellt Euch bitte beide kurz vor.

    Cornelia Cyperski: Ich bin Conny. Ich arbeite seit 30 Jahren im Hanns-Lilje-Heim als Pflegehelferin, nacheinander auf verschiedenen Wohnbereichen. Ich habe hier sehr viel miterlebt.

    Gerd Zaddach: Ich bin erst seit 20 Jahren hier im Haus (beide lachen). Ich arbeite hier als Pflegehelfer, habe ursprünglich mal Diplom-Pädagogik studiert. Wir beide gehören hier quasi zum Inventar.

    Wie sah die Ausbildung zur Pflegehilfskraft aus, als Ihr damals in die Pflege eingestiegen seid?

    Cornelia: Ich habe ursprünglich als Altenhelferin bei einem anderen Träger angefangen und hatte mich dann persönlich vorgestellt an der Rezeption des Hanns-Lilje-Heims. Das war meine Bewerbung. Da kam dann eine Oberschwester, die mich gefragt hat, wo ich hinmöchte. Als ich ihr von meiner Suche nach einem Arbeitsplatz erzählte, hat sie kurz auf meine Papiere geschaut und ich konnte in Teilzeit als Pflegehelferin starten. Stück für Stück wurde mein Vertrag erweitert. Jetzt arbeite ich in Vollzeit.

    Gelernt habe ich übrigens mal Altenhelferin und Schwesternhelferin, so hieß das damals.

    Gerd: Ich habe vor meinem Studium zwei Jahre eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht und die Ausbildung aus verschiedenen Gründen abgebrochen. Dann habe ich erstmal studiert. Zwei Jahre lang habe ich als Pädagoge bei einem privaten Träger gearbeitet. Als der pleite ging, hat mir die Agentur für Arbeit die Wahl gelassen zwischen einem Job als Platzwart von Grün-Gold (Wolfsburger Tennis-Club) oder einem Job als Alltagsbegleiter bei der Diakonie Wolfsburg. Ich hab erstmal hineingeschnuppert. Schon damals wurden händeringend Mitarbeiter für die Pflege gesucht. Meiner damaligen Pflegedienstleitung fiel beim Lesen meines Lebenslaufs auf, dass ich schon zwei Ausbildungsjahre in der Pflege hatte. Und so kam es dann. Nach einem zweimonatigen Praktikum bin ich richtig hier „angekommen“ und arbeite seitdem als Pfleghelfer.

    Die Tatsache, dass Ihr beide schon so lange hier im Hanns-Lilje-Heim arbeitet, bedeutet, dass Ihr Euch hier besonders wohlfühlt oder Euer Herz für das besondere Klientel schlägt?

    Conny: Ich liebe meine Arbeit, liebe die Menschen, auch mit ihren gerontopsychiatrischen Erkrankungen. Das ist nicht für jedermann etwas. Aber man kann lernen, damit umzugehen. Und ich bin ein beständiger Typ.

    Gerd: Mir geht das ähnlich. Und ich hatte immer großes Glück mit meinen Kollegen. Es gab für mich nie einen Grund, noch einmal nach einem anderen Job zu suchen. Natürlich gibt es auch hier mal Ärger, aber wo wäre das nicht so.

    Ihr macht also Euren Job als Pflegehilfskraft gerne?

    Beide (gleichzeitig): Ja.

    Hat es für Euch einen besonderen Reiz, in einer (gernonto-)psychiatrischen Einrichtung zu arbeiten?

    Gerd: Das Klientel ist sehr speziell, aber ja, das übt schon auch einen Reiz aus.

    Conny: Zum Teil sind die Bewohner jetzt schon jünger als ich. Das macht mich traurig, und dann bin ich froh, dass ich über dieses Alter jetzt schon hinweg bin und es mir gut geht.

    Gerd: Wir bekommen von den Bewohnern auch viel zurück.

    Inwiefern benötigt Ihr für dieses Klientel besonderes Fachwissen und eine besondere Handlungskompetenz?

    Gerd: Wir benötigen auf jeden Fall jede Menge Soft Skills, wie zum Beispiel Humor und Geduld. Das lernt man nicht in einer Ausbildung. Und wer das nicht mitbringt, der hält sich hier nicht.

    Conny: Man braucht Offenheit und Interesse für die Arbeit mit den Menschen hier. Wir sind hineingewachsen in die Aufgaben.

    Gerd: Im Vergleich zu anderen Pflegeeinrichtungen läuft hier sehr vieles sehr viel unplanbarer, und das muss man akzeptieren können. Dieselbe Person, die an einem Tag bis 10 Uhr schlafen möchte, ist am nächsten Tag um 6.30 Uhr wach und will versorgt werden. An anderen Tagen haben wir das Gefühl, gut besetzt zu sein, und dann muss irgendwo ein Bewohner-Badezimmer aufwändig gereinigt werden, weil jemand Exkremente verteilt hat. Wir müssen sehr flexibel reagieren können. Also langweilig wird es hier nicht und es stellt sich auch keine Routine ein.

    Für die Pflegehilfskräfte im Hanns-Lilje-Heim sind einige Fortbildungsmodule verpflichtend – welche habt Ihr gemacht und von welchen profitiert Ihr besonders?

    Gerd: Ein wichtiger Standard für alle Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, ist die Kinästhetik. Obwohl ich diese Techniken anwende, hatte ich leider auch schon einen Bandscheibenvorfall. Mit am wichtigsten ist das Thema „Validation“, also der Umgang mit Menschen mit Demenzerkrankungen und anderen gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern. „Sterbebegleitung“ war auch ein wichtiges Modul. „Erste Hilfe“ frischen wir regelmäßig auf. Und die Reflexionsrunden nach dem großen Corona-Ausbruchsgeschehen empfand ich auch als sehr gut. Zum Beispiel zu der Frage, wie ich damit umgehen kann, dass ich abstumpfe, um das zu verkraften, was um mich herum passiert. Es wäre gut, wenn wir das für unsere Teams in den Einrichtungen für alle verpflichtend anbieten würden. Auch, wenn es mal um Konflikte untereinander geht. Mir haben alle diese Module sehr geholfen, um selbst psychisch gesund zu bleiben.

    Conny: Alle Fortbildungen sind hilfreich.

    Das bedeutet, dass Ihr beide immer offen für Fortbildungsangebote des Unternehmens seid?

    Gerd: Manche Themen machen vielleicht weniger Spaß, aber sind auch wichtig, wie der Brandschutz und die Hygienebelehrung. Es ist immer gut, gemeinsam in den Austausch und die Reflexion mit anderen Kollegen zu gehen. Es kommen außerdem immer wieder neue Kollegen hinzu und damit auch viele Ideen, die wir vielleicht längst ausprobiert haben und die gescheitert sind. Da ist es gut, im Gespräch miteinander zu sein. Und Fortbildungen sind ein guter Ort dafür. Das hilft nicht nur Mitarbeitern und Kunden, sondern am Ende vor allem auch dem Unternehmen.

    Welche Fortbildungen möchtet Ihr anderen Kollegen ganz besonders empfehlen?

    Conny: Die Validation ist für alle interessant. Dort lernt man, aus der Perspektive der pflegebedürftigen Person zu denken.

    Gerd: Es geht um das Hineindenken in die Welt der Bewohner. Manchmal macht es Sinn, ihnen dabei zu helfen, sich wieder orientieren zu können, aber manchmal ist das gar nicht angesagt. Wenn zum Beispiel ein 90-Jähriger seine Mama sucht. Dann ist es höchstwahrscheinlich nicht gut, daran zu erinnern, dass sie längst tot ist. Und wie kommen wir dann an den Punkt, an dem er sich wieder beruhigen kann – darum geht es bei der Validation.

    Conny: Die Methode funktioniert natürlich nicht immer. Und manchmal muss man auch einen Kollegen um Rat bitten. Vielleicht ist er dann gerade derjenige, der in der betreffenden Situation passend ist. Gutes Teamwork ist wichtig.

    Gerd: Und es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen.

    Also haltet Ihr es auch für gut, mit dem gesamten Team in Fortbildungen Handlungskompetenzen zu erarbeiten?

    Gerd: Auf jeden Fall, sonst geht vieles verloren. Aber organisatorisch ist das nicht leicht hinzubekommen. Aber es macht Sinn, wenn wir übergreifend an Themen arbeiten, so wie wir auch multiprofessionell in der Pflege zusammenarbeiten.

    Conny: Wenn wir uns gut absprechen und ergänzen, dann erst kommt etwas Gutes dabei raus.

    Hat sich das Wissen in Eurem Bereich denn in den vergangenen Jahren stark verändert?

    Conny: Da hat sich vieles verändert und auch verbessert, zum Beispiel in der Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen. Damit gehen wir heute sehr viel zurückhaltender um als noch vor einigen Jahren.

    Gerd:Das Wissen über Demenzerkrankungen ist gewachsen und die Haltung dazu eine andere geworden. Die Pflege wurde Stück für Stück humanisiert. Therapie-Tische und Gurte gehören größtenteils der Vergangenheit an, und das ist aus meiner Sicht gut so. Auch der BMI-Wahnsinn hat aufgehört. Wir dürfen Menschen heute zugestehen, dass sie nicht mehr so viel essen wollen oder auch abnehmen, wenn sie bettlägerig geworden sind. Seitdem macht mir die Arbeit auch wieder mehr Freude. Es müssen auch nicht mehr alle bis 10 Uhr gefrühstückt haben, sie dürfen auch ausschlafen.

    Das macht allerdings nicht weniger Arbeit, sondern eher mehr, oder?

    Conny: Wenn wir es gut organisieren, dann verschiebt sich die Arbeit nur. Wenn jemand länger schläft, kann man als Pflegekraft in der Zeit etwas anderes machen.

    Gerd: Manches wird für uns dadurch auch leichter, denn wir arbeiten nicht mehr gegen den Willen der Bewohner an, sondern wir arbeiten mit ihm. Auch die Art der Zusammenarbeit und die Führungsstrukturen haben sich verändert.

    Wenn die Fortbildungsreihe für euch nicht verpflichtend wäre, würdet ihr trotzdem daran teilnehmen wollen?

    Gerd: Das ist schließlich keine Strafe, sondern ein Geschenk.

    Conny: Ich profitiere doch davon, ich würde es auf jeden trotzdem mitmachen wollen. Ich will doch wissen, um was es geht und wie ich es besser machen kann. Ich möchte mich weiterentwickeln.

    Gerd: Selbst, wenn man bestimmte Dinge ablehnt, sollte man doch sehr genau wissen, warum. Es ist wichtig, sich mit den für uns elevanten Themen auseinanderzusetzen. Es ist außerdem wichtig, die Alltagsroutinen mal zu verlassen.

    Was braucht es, damit eine Fortbildung für euch zu einer guten Fortbildung wird?

    Gerd: Es hängt oft vom Dozenten ab. Für mich ist es wichtig, Dinge mitzunehmen, die ich später in die Praxis umsetzen kann – entweder kann ich selbst meine Arbeit verbessern oder im System verbessert sich was. Nicht jedes Hilfsmittel, das wir dann zum Beispiel ausprobieren können, besteht den Praxistest. In fast allen Fällen sind Fortbildungen sinnvoll.

    Was ist mit der Einführung neuer Experten-Standards?

    Conny: Auch bei solchen Schulungen können wir vieles selbst ausprobieren und das gefällt mir.

    Gerd: Angedicktes Bier bei Zimmertemperatur ist zum Beispiel alles andere als lecker. Es geht am Ende doch auch um die Frage, ob man sich so pflegen lassen möchte, wie man selbst pflegt, zum Beispiel auch beim Zähneputzen. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn eine Person dann vielleicht mal nicht so glücklich ist mit unserer Versorgung. Dann ist es wichtig, nach Alternativen zu schauen. Ernährung ist sowieso auch immer ein Dauerbrenner-Thema, das für die Bewohner so elementar wichtig ist.

    Conny: Uns ist es auch wichtig, das Essen schön darzubieten. Aber wir müssen eben auch wissen, dass Schoko-Ostereier mit Verpackung bei uns zum Risiko werden können. Die Folie wird von den Bewohnern möglicherweise mitgegessen. Man muss hier an so vieles denken.

    Ihr müsst also immer aufmerksam sein?

    Conny: Ja, immer. Unsere Augen sind überall.

    Das erklärt auch, warum Ihr ein sehr umfassendes und aktuelles Wissen benötigt?

    Gerd: Ja, wird sind ein wichtiger Teil des Pflegeprozesses . Die Pflegeplanung, das machen ausschließlich die Fachkräfte und einige der Vorbehaltsaufgaben. Jeder am Pflegeprozess Beteiligte ist aber grundsätzlich selbst verantwortlich für sein Handeln, auch die Pflegehilfskräfte. Von einer guten Teamleistung profitiert der Bewohner.

    Conny: Wir nehmen alles an Fachwissen auf, was wir können und setzen alles um, was in unserer Macht steht.

    Conny – berichte uns, warum du einige Fortbildungsmodule jetzt ein zweites Mal absolvieren möchtest?

    Conny: Ich möchte mein Wissen auffrischen, und es kommt auch immer neues Wissen dazu. Ich freue mich, dass mir diese Chance zum Lernen geboten wird. Es ist toll, dass wir uns jetzt sogar selbst über unser Handy und eine App anmelden können für Fortbildungen. Bis September nehme ich jeden Monat an einer Fortbildung teil.

    Das Interview führten Kim Laura Fischbach und Bettina Enßlen.

     

    © Diakonie Wolfsburg/Bettina Enßlen